In einer halbtägigen Veranstaltung am 16. Oktober 2024 in der AK Wien diskutierten ca. 15 Teilnehmer:innen aus AK, Gewerkschaften und aus der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschung Zusammenhänge zwischen Klima- und Arbeitszeitfragen. Nach einem ähnlich angelegten Workshop im Herbst 2023, wo eher wissenschaftliche Zugänge im Vordergrund standen, ging es diesmal vorrangig darum, Positionen aus österreichischen Gewerkschaften zu präsentieren und zu diskutieren.
- Den „Aufschlag“ lieferten Susanne Haslinger (PRO-GE) und David Mum (GPA) mit einem breit angelegten Überblick über gewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik und differenziertem Blick auf Fragen der sozial-ökologischen Transformation sowie abschließenden Thesen darüber, welche Rolle Arbeitszeitverkürzung in diesem Kontext voraussichtlich einnehmen kann.
- In ihrem Co-Referat ging Maja Hoffmann (WU Wien) insbesondere auf unterschiedliche Effekte von Arbeitszeitverkürzung auf Umwelt- und Klimawirkungen ein und argumentierte, dass für eine sozial-ökologische Transformation der gesamte Arbeitsprozess zugunsten von weniger (Erwerbs-)Arbeit (und ggfs. weniger Einkommen als Effekt davon) zu hinterfragen sei.
- Im Anschluss daran erörterte Dominik Wiedenhofer (BOKU) auf Basis einer eigenen Überblicksstudie den internationalen Forschungsstand zu Wirkungspfaden von Arbeitszeit-Reduktion und Klimaschutz, die in Summe komplexer und weniger stringent ausfallen als es Vorstellungen von linearen Zusammenhängen von Arbeitszeitverkürzung und daraus resultierenden THG-Reduktionen nahelegen.
- In einem weiteren Co-Referat diskutierte Martin Müller (ÖGB) u.a. realpolitische Umsetzungschancen von Arbeitszeitverkürzung – allgemein und mit Bezug auf Klimaschutz.
Im Zuge der Referate bzw. Co-Referate entwickelte sich eine lebhafte und anspruchsvolle Diskussion, in der analog zur Vielzahl der Anknüpfungspunkte zu Arbeitszeit und Umwelt/Klima verschiedene Bezugspunkte eingebracht bzw. Fragen aufgeworfen wurden:
- von Beispielen der gewerkschaftlichen Durchsetzung von Arbeitszeitverkürzung in bestimmten Branchen sowie Modellen dahingehender betrieblicher Praxis bis zur Erörterung, wie weit Klimaschutzargumente bereits Bestandteil der gewerkschaftlichen Arbeitszeitpolitik sind. Für die Durchsetzung ist immer die Frage der gewerkschaftlichen Mobilisierungsfähigkeit entscheidend. Auf der betrieblichen Ebene sind Konflikte aber v.a. dazu geeignet, Maßnahmen zu verhindern. Für eine positive Gestaltung braucht es ein gutes Einvernehmen. Auf KV-Ebene wurde ein individuelles Wahlrecht auf Zeit statt Geld bei Lohnerhöhung als Möglichkeit gesehen, Dynamik in Richtung AZV auslösen.
- wo Grenzen liegen, wenn v.a. auf signifikante Arbeitszeitverkürzung als Instrument zur Reduktion des THG-Ausstoßes gelegt wird; bzw. dass Arbeitszeitverkürzung nur als ein Baustein unter vielen im Kontext eines sozial-ökologischen Umbaus verstanden werden kann. Damit wäre auch der realpolitisch eher unproduktive Diskurs zu hinterfragen, inwiefern Wachstum in volkswirtschaftlicher Perspektive zulässig sein sollte oder nicht; dies etwa zugunsten von neuen Wohlstandsverständnissen mit höherem Stellenwert von staatlicher Planung u.a.m.
Als Fazit ist (weiterhin) festzuhalten, dass Zusammenhänge zwischen Arbeitszeitverkürzung und Ressourcenverbrauch vielfältig sind. Bei Klima- und Umweltauswirkungen von Arbeitszeitverkürzungen ist zu unterscheiden zwischen primären Effekten („scale effect“) wie einer Reduktion von Produktion/Arbeit/Einkommen (insbesondere in ressourcenintensiven Branchen), wo es dann auch um soziale Abfederung hinsichtlich Belastungen oder Personalabbau geht. Bei den sekundären Effekten („compositional effect“) geht es vor allem um den Umgang mit zusätzlicher freier Zeit. Ersteres ist (ohne Lohnausgleich) auch in arbeitspolitischer Hinsicht nur mäßig aussichtsreich. Es geht aber auch um die grundsätzliche Frage, welche Arbeit wir brauchen und welche verzichtbar ist – Stichwort „Bullshit Jobs“.
Die Frage der Verwendung der Zeit verlangt noch deutlich mehr Forschung, wie Berufstätige mit reduzierten/weniger Stunden in ihrer Erwerbsarbeit faktisch umgehen, etwa hinsichtlich einer klimaschonenden Zeitverwendung im Umgang mit Mobilität. Die wenigen empirischen Studien zeigen, dass viel der gewonnenen Zeit für „life admin“ wie Kochen, Putzen, Schlafen u.a.m. verwendet wird, verweisen aber auch darauf, dass ein separierbares Handlungsziel wie Umwelt- oder Klimaschutz nur sehr selten als relevanter Anlass für Arbeitszeitverkürzung genannt wird, wie eine Diskussionsteilnehmerin einbrachte. Demgegenüber wären breiter gefasste Konstellationen wie schicht- oder geschlechtsspezifische Lebens-, Erwerbs- und Einkommensziele und deren Realisierung in unterschiedlichen Phasen des Lebenszyklus oder in ausgewählten Branchen/Betrieben u.a.m. zu analysieren. Dabei kommt es auch zu Zielkonflikten, etwa dahingehend, dass aus einer Perspektive der Gendergerechtigkeit die Verkürzung der Tagesarbeitszeit besser wäre, wohingegen eine 4-Tage-Woche bessere umweltpolitische Effekte – zumindest hinsichtlich der Mobilität – bewirken würde.
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Input Maja Hoffmann:
Input Dominik Wiedenhofer:
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